(Provozierende) Gedanken zu Karfreitag

Der Karikaturist Thomas Plaßmann hat vor einigen Jahren mit wenigen Strichen ein Cartoon gezeichnet: Ein Seitenaltar mit Altartuch und zwei brennenden Kerzen, darüber an der Wand ein großes Kreuz, auf dem aber nur noch der Abdruck des Gekreuzigten sichtbar ist. Auf dem kleinen Altar liegt ein verschlossener Briefumschlag – und vor den Altarstufen steht ein erschrockener Pfarrer, die Hand vor dem Mund und die Augen weit aufgerissen.

Was hat diese Karikatur mit Karfreitag zu tun? Da einen Zusammenhang herzustellen – ist das Blasphemie, Gotteslästerung, gerade an einem Tag, wo wir Christus am Kreuz verehren, uns an sein Leiden und seinen Tod erinnern?

Ich glaube nicht – diese Karikatur kann uns am heutigen Tag besonders zum Nachdenken ermuntern. Jesus ist verschwunden, sein Platz am Kreuz ist leer. Und er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen – die Absicht des Karikaturisten ist es wohl, dass wir uns mit viel Phantasie ausmalen, welche Zeilen der Brief beinhalten könnte.

„Keine Angst!“ könnte in diesem Brief stehen, „ich bin nur wieder einmal auf der Suche nach Menschen – nach Menschen, die sich so wie ich nach mehr Frieden und Liebe sehnen, für sich selber und für die ganze Schöpfung; die mit mir aufstehen gegen Ungerechtigkeit und Ausgrenzung; die in schwierigen Zeiten beistehen und sich nicht zurückziehen.“

„Manchmal ist es wirklich zum Davonlaufen“, hätte Jesus auch schreiben können. „Immer wieder fühle ich mich eingesperrt und muss raus – ich vermisse die Weite in unserer Kirche, manchmal auch in Gottesdiensten. Wo ist da der Geist der Freiheit, aus dem ich gelebt habe? Was helfen Glaubenssätze, in denen ich mich sogar selber nicht zuhause fühle? Wo sind die Freude und das Aufatmen-Können, die Gelöstheit und das Lachen? Die Menschen müssen so viele Kreuze erdulden – wird ihnen auch beim Kreuztragen geholfen? Versprochen – wenn ich meine Gedanken wieder geordnet habe, dann findet Ihr mich wieder an meinem Platz…“

„Ich bin unterwegs zu Dir, zu Euch“, diese Worte könnte man sich auch vorstellen. „Ich will nicht nur Altardekoration sein, sondern Dir und Euch nahe sein, in den Herzen wohnen. Wenn Du enttäuscht und mutlos bist, versuche ich, dich zu begleiten und geleiten. Wenn Du Angst hast, habe ich beruhigende und tröstende Worte. Wenn Du müde und ausgebrannt bist, lade ich Dich zum Ausruhen ein. Wenn Du abhebst und damit überheblich wirst, hole ich Dich wieder auf den Boden zurück…

Vielleicht, liebe Leser, haben Sie sich auch schon Gedanken gemacht und Ideen entwickelt, was in dem Brief stehen könnte. Jesus könnte auch den Corona-Kranken und -Sterbenden besonders nahe sein wollen, all denjenigen, die in dieser schweren Zeit als medizinisches Personal, als Kranken- und Altenpfleger, als Müllwerker, als Verkäuferinnen… ihrer weiß Gott nicht leichten Arbeit nachgehen.

Letztlich hat Jesus ja tatsächlich das Kreuz verlassen – letztendlich in seiner Auferstehung. Und so ist er nicht nur Schmerzensmann, verbunden mit dem Kreuz, sondern eben auch der Auferstandene und Lebendige, der in unserem Leben seinen Platz finden möchte.