Allzeit wachsam – Predigt zum 1. Adventssonntag

Predigt am 1. Adventssonntag 2021· Zu Lk 21,25–28.34–36 (C)

Allzeit wachsam

„Semper vigilans“ („Allzeit wachsam“) ist das Motto von San Diego in Kalifornien. Die Stadt ist bekannt für ihre kilometerlangen Sandstrände, ihr wunderbares Sonnenwetter – aber auch für ihre Pläne, als erste US-Stadt eine cybergesteuerte Straßenbeleuchtung zu installieren. Dabei wollte der Stadtrat bei der Wahl des Wappenspruchs wohl kaum bedrückende Bilder eines totalitären Überwachungsstaates herauf-beschwören. Eher lag der Fokus auf Wachsamkeit als Achtsamkeit für das (gesellschaftliche) Leben. Die Civilian Air Patrol, die zivile Luftwacht, hat übrigens dasselbe Motto. Wachsamkeit ist unabdingbar für die Such- und Rettungseinsätze.

In unserer Gesellschaft haben wir uns längst an Pass- und Codewörter gewöhnt, an alle möglichen Sicherheits- und Überwachungssysteme. Beim geplanten automatisierten Autofahren wird der Fahrer mehr und mehr nur noch zum Mitfahrer, soll aber noch permanent den Verkehr überwachen und in Sekundenbruchteilen das Steuer übernehmen können. Wir müssen schon auch wachsam werden, uns nicht so sehr auf all diese Systeme zu verlassen – wir dürfen nicht zu sehr von ihnen gesteuert werden und die Fähigkeit verlieren, selber auf unser Leben achten zu können. Wir neigen dazu, an Orten und in Situationen, wo es Schilder und Lichter in Hülle und Fülle gibt, weniger wachsam zu sein als an solchen, wo es sie nicht gibt.

 

DREIFACHER ADVENT

Wachsamkeit ist das Schlüsselwort im Lukasevangelium. Wachsamkeit gegenüber drohenden Gefahren, aber auch Wachsamkeit für das Gute, das Neue und unerwartet Kommende. Und das Evangelium fordert Wachsamkeit zu allen Zeiten. Es verbindet damit ein zweifaches Ziel: den drohenden Gefahren zu entrinnen – und bereit zu sein für die Begegnung mit dem „Menschensohn“, heraus aus der Bedrückung, hinein in die Befreiung. Das Evangelium rückt die Zukunftserwartung der Christen zurecht. Es macht klare Aussagen darüber, wie und worauf wir warten sollen: keine romantisierte Krippenidylle, sondern die befreiende Wiederkunft des Erlösers. Der Advent, die Ankunft Jesu Christi, geschieht da in dreifacher Weise: Wir erinnern uns an das geschichtlich erfolgte Eintreten Jesu in diese Welt vor über 2000 Jahren. Wir bereiten uns persönlich und höchst individuell vor auf sein Hereinkommen in unser Herz. Wir schauen aus nach der Wiederkunft Jesu Christi am Ende der Zeiten.

 

„HOLZAUGE, SEI WACHSAM!“

Vielleicht kennen Sie die merkwürdige Formulierung: „Holzauge, sei wachsam!“ Sie stammt wohl aus dem Schreinerhandwerk. Seit Jahrhunderten werden zum Glätten von Holzoberflächen Hobel benutzt. Mit einer geraden Klinge wird die oberste Schicht des Holzes hauchdünn abgeschnitten. Doch beim Hobeln muss man aufpassen: „Holzaugen“, also die Stellen im Holz, an denen einmal ein Ast aus dem Stamm gewachsen ist, sind deutlich härter als das restliche Holz. Dort kann die Klinge des Hobels stumpf werden oder sogar aus dem Hobel herausbrechen. Aus dem Warnruf „Ein Holzauge! Sei wachsam!“, mit dem der Meister den Lehrling auf die tückischen Äste hinwies, entwickelte sich die heutige Redewendung „Holzauge, sei wachsam!”.

Was sind „Holzaugen“ in meinem Leben? Störungen, alles, was mir Ärger und Angst bereitet, was mich beunruhigt und ratlos macht, was den normalen Fluss unterbricht. Es gilt, sich davon nicht unterkriegen zu lassen, sondern gerade dann, wenn Störungen eintreten, sich aufzurichten und auszurichten auf das Befreiende – auf Christus, der auf uns zukommt.

 

WACHET UND BETET!

Zur Wachsamkeit kommt die Kontaktpflege im Gebet hinzu: „Wachet und betet!“ heißt es im Evangelium. Und wie könnten wir beten? „Lass mich nicht scheitern in meinem Bemühen, auch wenn ich immer wieder der Schwerkraft erliege, wenn ich es nicht „allezeit“ schaffe, zu dir zu beten und deine Ankunft in meinem Leben zu erwarten. Hilf mir dabei, wachsam zu bleiben für Dein Dasein, für Deine Hilfe, für Deine Nähe.“