Zum Palmsonntag: Aus der Sicht eines Esels

Wir Esel haben schon einen besonderen Bezug zu Jesus. In der Krippe schon werden wir oft als wärmende Gesellschaft Jesu dargestellt – obwohl ich mich gar nicht erinnern kann, dass einer meiner Artgenossen in Bethlehem dabei gewesen ist. Das wüsste ich nämlich, dass spricht sich unter Eseln schnell herum.

Was ich heute mit Jesus erlebt habe, das war schon großartig, aber dann auch irgendwie eigenartig. Ich habe ja mitbekommen, dass Jesus uns Esel besonders mag, spricht er doch davon, dass sein Joch nicht drückt und seine Last leicht ist. Da kommt doch zum Vorschein, dass er von unserem Schicksal weiß: Uns wird oft zu viel aufgeladen, wir müssen über weite Strecken gehen, ohne ausreichend mit Wasser versorgt zu sein – und Schläge bekommen wir oft auch. Dann wundert man sich, dass wir manchmal störrisch sind! Es ist ja auch ein wenig Selbstschutz, wenn wir nicht weitergehen, weil uns zu viel aufgehalst worden ist.

Aber zurück zu meinem Erlebnis heute: Ich grase also friedlich – endlich hatte ich einmal ein wenig Ruhe – mit meinem Fohlen in unserem kleinen Dorf, als zwei von Jesu Jüngern ganz aufgeregt zu uns gekommen sind, mich losgebunden haben und den staunenden Menschen, die herumgestanden sind, erklärt haben: „Der Herr braucht die Eselin und ihr Fohlen, er lässt sie aber bald zurückbringen!“ Na ja, so direkt begeistert war ich nicht, musste ich doch mein kleines Fohlen mitnehmen – aber wenn Jesus schon etwas mit uns vorhat!

Kurz vor Jerusalem war eine große Menschenmenge – die Leute hatten Palmzweigen in den Händen und jubelten laut. O je, und ich musste also Jesus tragen. Nun, so viel war ja an ihm nicht dran, oder machte er sich absichtlich nicht so schwer? Jedenfalls legten die Leute ihre Gewänder auf mich und auch auf die Straße, damit es Jesus (und auch ich!) bequemer hatten. Und dann zogen wir los.

Aber ehrlich gesagt: So ganz wohl war mir nicht. Denn die Leute waren sehr laut und riefen: „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ Davon habe ich schon öfters gehört: Da wird jemand in den Himmel gehoben, laut beklatscht und bejubelt – und wenig später dann mit Buhrufen bedacht, ausgelacht und verhöhnt. Jesus jedenfalls war sehr still geworden. Ob er wohl Ähnliches geahnt hat? Jedenfalls hat er immer wieder mich und auch mein Fohlen, das mir nicht von der Seite gewichen ist, gestreichelt, ein wenig geweint und leise zu mir gesagt: „Mein lieber Esel, die Menschen reden oft so abfällig von Dir – und dabei sollten sie sich ein Beispiel an dir nehmen. Sie sollten selber öfters nachdenken und überlegen; sie sollten manchmal störrisch sein, wenn so manche Leute ihnen etwas vormachen; und sie sollten nicht alle und jede Last einfach so schleppen, weil sie andere eben nicht tragen wollen.“

Mittlerweile bin ich wieder zurück in meinem Dorf, wie versprochen. Irgendwie ahne ich, dass es mit Jesus wohl kein gutes Ende nehmen wird. Dazu ist mir die Menschenmasse zu hysterisch und zu überschwänglich gewesen. Aber vielleicht ist das nur die Sicht eines Esels…